Die Wichtigsten Fragen und Antworten
Was ist mit Molekülwende gemeint? Warum ist sie eine notwendige Ergänzung zur Stromwende und wie gelingt eine erfolgreiche Umsetzung? Wir haben die wichtigsten Antworten für Sie zusammengefasst.
Was ist die Molekülwende?
Die Molekülwende steht für den Umstieg auf CO₂-neutrale Energieträger, Einsatzstoffe und chemische Rohstoffe. Sie ist elementar für das Erreichen der Klimaziele und den Erhalt des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Was sind denn überhaupt CO₂-neutrale bzw. grüne Moleküle?
Grüne Moleküle sind flüssige oder gasförmige Energieträger und Rohstoffe, die nicht wie bisher aus fossilen Quellen wie Erdgas oder Erdöl stammen, sondern die CO₂-neutral hergestellt und eingesetzt werden. Dabei handelt es sich nicht nur um Wasserstoff, sondern insbesondere auch um chemische Verbindungen von Wasserstoff (H2) mit Kohlenstoff (C), so genannte Kohlenwasserstoffen. Ebenso gemeint ist die Verbindung von Wasserstoff mit Stickstoff, Ammoniak.
Bausteine der Molekülwende sind daher zukünftig grüner Wasserstoff auf Basis von erneuerbaren Energien wie Wind¬ und Solarstrom sowie nachhaltige Kohlenstoffquellen wie Biomasse oder recycelte Rohstoffe, z. B. Kunststoffe. Ebenso werden technologische Lösungen zur Abscheidung und Nutzung von CO₂ aus der Atmosphäre oder Abgasen (CCU) notwendig sein, aber auch die CO₂-Speicherung (CCS), wo sich diese Emissionen zumindest übergangsweise nicht vermeiden lassen.
Die entsprechenden Produkte in Form grüner Moleküle sind CO₂-neutraler Wasserstoff und dessen Derivate wie Ammoniak, Methanol oder E-Fuels bzw. synthetisches Rohöl ebenso wie biobasierte Kraft- und Einsatzstoffe.
Warum sollte zwischen den Begriffen „defossilisieren“ und „dekarbonisieren“ unterschieden werden?
Wir halten es für irreführend, von Dekarbonisierung zu sprechen. Denn auch in Zukunft werden wir Kohlenstoff („Carbon“) benötigen. Denn Kohlenwasserstoffe sind nicht nur wichtige Energieträger, sondern auch unverzichtbare chemische Bausteine für eine Vielzahl von Konsum- und Gebrauchsgütern.
Damit bei ihrer Produktion und Verwendung bis zur Entsorgung kein zusätzliches CO₂ in die Atmosphäre emittiert wird, sind jedoch geschlossene Kohlenstoffkreisläufe notwendig. Bei der Nutzung von Biomasse ermöglichen dies Pflanzen, die zuvor das CO₂ aus der Atmosphäre genommen haben. Das Recyceln von Kunststoffen ist eine weitere Option. Eine andere Möglichkeit bietet das Herausfiltern von CO₂ aus Abgasen oder aus der Luft.
Warum geht die Energiewende nur mit Molekülwende?
Es wird zwar, gerade auch in der politischen Diskussion, immer von einer Energiewende gesprochen. Gemeint wurde damit bislang jedoch fast immer nur die Stromwende. Strom macht derzeit jedoch nur wenig mehr als 20 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland aus, den Rest tragen Moleküle in Form von Kohlenwasserstoffen zur Kraft- und Brennstoffversorgung bei. Fossile Energieträger wie Erdgas und Mineralöl machen heute noch den überwiegenden Anteil aus.
Darüber hinaus brauchen wir auch CO₂-neutrale Kohlenwasserstoffe für die Chemieindustrie. Eine Stromwende allein reicht darum nicht. Zusätzlich ist eine Molekülwende erforderlich und das bedeutet: CO₂-neutraler Wasserstoff, nachhaltige biogene und synthetische Energieträger müssen verstärkt in den Fokus der Energiewende rücken.
Brauchen wir in Zukunft überhaupt noch Moleküle oder wird alles elektrisch?
Durch höhere Effizienz sowie die zunehmende Elektrifizierung der Fahrzeugflotte und Wärmeversorgung wird der Bedarf an gasförmigen und flüssigen Energieträgern künftig sicherlich sinken, er bleibt jedoch signifikant. Aus heutiger Sicht werden mehr als 40 Prozent des heutigen Absatzes auch 2045 noch dort benötigt, wo die Elektrifizierung allein technisch an ihre Grenzen stößt – dann allerdings CO₂-neutral.
Stehen grüne Moleküle in Konkurrenz zu grünen Elektronen?
Nein, grüne Moleküle stehen nicht in Konkurrenz zum Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung und einer sinnvollen Elektrifizierung in den verschiedenen Sektoren.
Es geht vielmehr darum, ergänzend fossile Energieträger und Rohstoffe dort zu ersetzen, wo strombasierte Anwendungen technisch an ihre Grenzen stoßen oder wirtschaftlich nicht sinnvoll sind.
Für welche Sektoren ist die Molekülwende besonders wichtig?
Die Luftfahrt und die Schifffahrt sind Verkehrsbereiche, die größtenteils auf flüssige Energieträger angewiesen bleiben. Es ist nicht absehbar, dass Flugzeuge für die Mittel und Langstrecke oder große Container- und Passagierschiffe batterieelektrisch betrieben werden.
Das gilt auch für die Bereiche Landwirtschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz oder das Militär. Landmaschinen, Lösch- und Bergungsfahrzeuge oder auch Notstromaggregate werden weiterhin und speicherbare Energieträger mit hoher Energiedichte benötigen.
Bis zu 100 % beimischungsfähige Moleküle werden darüber hinaus für den großen Bestand an Fahrzeugen und Heizungen gebraucht. Trotz fortschreitender Elektrifizierung wird es 2030 bundesweit voraussichtlich noch mehr als 40 Millionen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor und auch weiterhin mehrere Millionen Heizungen für flüssige oder gasförmige Brennstoffe geben. Auch dort sind Klimaschutzoptionen notwendig.
Gibt es noch weiteren Bedarf neben der Nutzung als Energieträger?
Für die Industrie, besonders die Chemie bleibt die stoffliche Nutzung von Molekülen – insbesondere Kohlenwasserstoffen – auch künftig unverzichtbar. Sie werden als Einsatzstoffe für die Herstellung einer Vielzahl von Produkten bzw. Vorprodukten benötigt.
Wichtige chemische Einsatzstoffe sind beispielsweise Naphtha, Ethylen oder Flüssiggas, die u. a. für die Erzeugung von Kunst, Schaum und Dämmstoffen benötigt werden. Aber auch hochwertiger Schmierstoffe z. B. für Windkraftanlagen oder Elektromotoren bis hin zu Bitumen für den Straßenbau oder für die Abdichtung von Gebäuden werden bislang vor allem aus Erdöl hergestellt und müssen mittel – bis langfristig CO₂-neutral zur Verfügung stehen.
Warum sind grüne Moleküle auch aus wirtschafts- und sicherheitspolitischer Sicht unersetzlich?
Grüne Moleküle sind elementar für die Versorgungssicherheit und Resilienz Deutschlands. Gerade in Krisensituationen werden Energieträger benötigt, die einfach gespeichert und transportiert werden können – hier sind flüssige Energieträger klar im Vorteil.
Mit Elektronen ist eine nationale Energiereserve im Umfang von 90 Verbrauchstagen, wie sie heute das Erdölbevorratungsgesetz (ErdölBevG) für Rohöl und Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin verpflichtend vorsieht, nicht realisierbar. Auch deshalb ist zusätzlich zur Stromwende eine Molekülwende erforderlich.
Stehen denn überhaupt ausreichend grüne Moleküle zur Verfügung?
Aktuell nein. Aus diesem Grund müssen nun schnellstmöglich die politischen Weichen für Investitionen in grüne Moleküle gestellt werden.
Nehmen wir den Luftverkehr als Beispiel. Hier hat die Politik zwar die Notwenigkeit erkannt und die EU schreibt künftig den Einsatz von Sustainable Aviation Fuels, kurz: SAF, aus biogenen Rohstoffen sowie Power-to-Liquid (PtL)-Treibstoffen verpflichtend in schnell ansteigenden Anteilen vor. Jedoch reichen solche verpflichtenden Beimischquoten offensichtlich allein nicht, um die jetzt notwendigen Investitionen in die Produktion auszulösen.
Das gilt insbesondere für den Aufbau hochkomplexer, innovativer Produktionstechnologien mit hohen Anfangsinvestitionen, die üblicherweise über mindestens 20 Jahre abgeschrieben werden. Dazu gehören insbesondere PtL-Anlagen zur Herstellung von strombasiertem Kerosin, kurz E-SAF. Obwohl die E-SAF-Quote der EU 2035 bereits auf fünf Prozent angestiegen sein wird, ist derzeit nicht zu erkennen, dass die dafür erforderlichen Anlagen zeitgerecht zur Verfügung stehen werden.
Wo und wie sollen grüne Moleküle hergestellt werden?
Der Aufbau eines globalen Marktes für Moleküle, speziell für Kohlenwasserstoffe, kann dazu beitragen, eine wettbewerbsfähige Rohstoffversorgung für Wirtschaft und Verbraucher zu gewährleisten. Welche Anteile der benötigten Moleküle letztendlich in Deutschland z. B. aus Biomasse oder erneuerbarem Strom hergestellt und welche Anteile importiert werden, lässt sich derzeit nicht genau vorhersagen.
Klar ist jedoch: Deutschland importiert derzeit rund 70 Prozent der genutzten Energie. Das lässt sich durch erneuerbaren Strom aus heimischen Wind- und Solaranlagen bei weitem nicht ersetzen. Wir werden also weiterhin ein Energieimportland bleiben.
Auch das spricht für grüne Moleküle, denn der Leitungstransport von elektrischer Energie über große Entfernungen ist technisch begrenzt. Darum erfordert der Transport erneuerbarer Energie aus dem Sonnen- und Windgürtel der Erde die Umwandlung und Speicherung in Wasserstoff, aber auch dessen Weiterverarbeitung zu Ammoniak, Methanol oder synthetischem Rohöl.
Was steht der Molekülwende derzeit noch im Wege?
Um die Molekülwende zum Erfolg zu führen, sind noch enorme Investitionen erforderlich. Hier stehen wir noch am Anfang. Es fehlen zum jetzigen Zeitpunkt schlichtweg die Rahmenbedingungen, um Investitionen in grüne Moleküle attraktiv zu machen.
Erfahrungsgemäß sind bei der Skalierung neuer Technologien die ersten Anlagen teurer als später getätigte Investitionen, die auf den Erfahrungen und auch den Fehlern der ersten Projekte aufbauen können. Dadurch ist eine Kostendegression zu erwarten.
Das führt dazu, dass sich die hohen Investitionen in die ersten Anlagen nicht rentieren, da sich die im Vergleich zu Folgeprojekten höheren Kosten bzw. Abschreibungen nicht durch ein langfristig nach und nach sinkendes Preisniveau für die erzeugten Produkte verdienen lassen. Diesem First-Mover-Disadvantage muss entgegengewirkt werden. Ein langfristiger Abnahmevertrag für die Produkte, der sowohl Abnahmemenge als auch Preis garantiert, ist daher in der Regel Voraussetzung für eine Realisierung solcher Projekte.
Welche Bausteine und Rahmenbedingungen sind für eine erfolgreiche Molekülwende notwendig?
Die drei Schlüsselbegriffe hier sind: Investitionssicherheit, Technologievielfalt und Verfügbarkeit von CO₂-neutralen Molekülen.
Damit für Unternehmen Milliardeninvestitionen in die Produktion grüner Moleküle „bankable“ werden, braucht es langfristig verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu gehören u.a. Klarheit über den Umgang mit Zertifikaten (ETS I und ETS II), die CO₂-Bepreisung und die Stromkostenentwicklung.
Nur mit einer langfristig hohen CO₂-Bepreisung und einer Berücksichtigung von grünen Molekülen bei Regulierungen (z. B. der Maut) entstehen Business Cases die sich rechnen.
Wichtig ist auch, dass die Politik keine Anwendungsbereiche für grüne Moleküle vorschreibt, sondern eine breite Nachfragebasis in allen Sektoren für erneuerbare Produkte ermöglicht.
Last but not least: Deutschland braucht schnellstmöglich eine Wasserstoff- aber auch einer Kohlenstoffstrategie, die Biomasse, Co-Processing und CCU/CCS einschließt. Nur so können wir die Weichen stellen, damit grüne Moleküle in Zukunft am Wirtschaftsstandort Deutschland zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stehen.
Hier ist der Aufbau eines Weltmarktes für Wasserstoff und Kohlenwasserstoffe und entscheidender Bedeutung. Auch brauchen wir Energiepartnerschaften mit Ländern, die deutlich mehr Wind- und Sonnenstrom erzeugen können, um aus überschüssigem Strom Wasserstoff und dessen Derivate herzustellen, die in Deutschland weiterverarbeitet werden können.
Technisch ist der Anschluss der Raffinerien in Deutschland an die Netze für Hochspannungsstrom, Wasserstoff und CO₂ wichtig.