Wettbewerbsfähig in die Transformation
Wie andere Branchen leidet auch die Mineralölindustrie unter den schwierigen Rahmenbedingungen am Wirtschaftsstandort Deutschland (hohe Strom- und Gaspreise, steigende CO2-Kosten aus europäischen Regulierungen, hohe Umweltauflagen (häufig über die EU-Mindestanforderungen hinaus – Gold Plating) und hoher Bürokratieaufwand).
Die Wettbewerbsfähigkeit der Raffinerien in Deutschland ist massiv gefährdet. Investitionszurückhaltung, Reduzierung von Produktionskapazitäten und teilweiser Rückzug branchenerfahrener Unternehmen durch Verkauf von Raffinerien oder Raffineriebeteiligungen sind die Folge. Das schwächt Wirtschaftswachstum, gefährdet Arbeitsplätze und die Transformation im Sinne der Klimaziele. In der Folge ist auch eine jederzeit gesicherte Versorgung keine Selbstverständlichkeit mehr.
Gefragt sind jetzt politische Maßnahmen, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Kohlenwasserstoffwirtschaft im bestehenden Energiesystem stärken, die Versorgung mit Energie und Rohstoffen sichern und zugleich die Bedingungen für den Hochlauf CO2-armer Produkte verbessern. Dazu benötigen wir verlässliche, langfristige Perspektiven für die notwendigen hohen Investitionen und langen Pay-off Perioden in die Sicherung und Transformation der Unternehmen sowie neuer Technologien und Infrastrukturen für CO2-neutrale Energien. Diese Entwicklung gefährdet Versorgungssicherheit und die Transformation zu klimaneutralen Produkten gleichermaßen.
Kostennachteile von bis zu zehn Cent pro Liter
Deutsche Raffinerien kämpfen mit erheblichen Kostennachteilen im internationalen Vergleich.
Erstens, die Energiekosten: Überdurchschnittliche Strom- und Gaspreise verteuern die Verarbeitung bereits um drei bis vier Cent pro Liter. Steigt der Strompreis um zehn Euro pro Megawattstunde, kommt ein weiterer Cent pro Liter hinzu.
Zweitens, die CO₂-Bepreisung: Der europäische Emissionshandel verursacht bei einem CO₂-Preis von 60 Euro pro Tonne weitere Kosten von ein bis zwei Cent pro Liter. Wettbewerber außerhalb der EU unterliegen keiner vergleichbaren Bepreisung und produzieren günstiger.
Drittens, die Rohölkosten: Deutsche Raffinerien müssen aufgrund der Russland-Sanktionen teureres Rohöl einkaufen, während Konkurrenten außerhalb der EU weiterhin russisches Rohöl mit Preisabschlag beziehen und Produkte günstiger auf Weltmärkten anbieten können. Die Branche trägt diese Sanktionen selbstverständlich mit – dennoch erhöhen sie die Kosten.
Energiekosten und Bürokratie spürbar reduzieren
Die Positionen von en2x und seinen Mitgliedern zu diesen Punkten sind klar: Die Energiekosten müssen reduziert werden, die Industriestromkosten dauerhaft sinken. Die Stromsteuer sollte auf das europäische Mindestmaß begrenzt, Netzentgelte und Gestehungskosten sollten durch Bundeszuschüsse auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt werden. Zudem muss die Bürokratie spürbar und nachhaltig abgebaut werden. Genehmigungsverfahren müssen vereinfacht, Dokumentationspflichten reduziert werden. Bei der nationalen Umsetzung von EU-Recht ist strikte Eins-zu-eins-Umsetzung erforderlich, um zusätzliche Nachteile durch „Gold-plating“ zu vermeiden – also deutsche Regeln, die über die strengen EU-Regeln noch hinausgehen.
Investitionen bleiben aus, auch die Transformation stockt
Die Zahlen sind alarmierend: Allein 2024 gingen rund zehn Prozent der Kapazität deutscher Raffinerien vom Markt. Unternehmen halten Investitionen zurück, reduzieren Kapazitäten oder verkaufen Beteiligungen – direkte Folgen verschlechterter Standortberingungen. Ebenso können unter aktuellen Rahmenbedingungen Unternehmen nicht in die Transformation investieren. Die Umstellung auf CO₂-neutrale Produkte erfordert Milliarden-Investitionen, die sich gegenwärtig nicht rechnen. Deutschland ist für diese Zukunftsinvestitionen nicht attraktiv genug.
Besonders problematisch: Deutschland bleibt auch in einem klimaneutralen Energiesystem auf Kohlenwasserstoffe angewiesen. Trotz fortschreitender Elektrifizierung werden 40-60 Prozent der heutigen Raffinerieprodukte auch nach 2045 benötigt – für Luftfahrt, Schifffahrt, chemische Industrie und kritische Infrastrukturen.
Investitionsanreize für die Molekülwende schaffen
Eine erfolgreiche Transformation erfordert vor allem vier Maßnahmen:
- Rohstoffverfügbarkeit sichern: CO₂-neutraler Wasserstoff, Wasserstoffderivate und nachhaltiger Kohlenstoff aus Biomasse, Recycling und CO₂-Abscheidung müssen durch inländische Produktion und Importe verfügbar werden. Die nationale Importstrategie muss weiterentwickelt und Energiepartnerschaften ausgebaut werden.
- Kostengünstige Produktion ermöglichen: Raffinerien benötigen zuverlässigen Zugang zu CO₂-neutralen Rohstoffen und erneuerbarem Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen. Das Co-Processing verschiedener alternativer Rohstoffe innerhalb einer Raffinerie muss rechtlich ermöglicht werden.
- Nachfrage erhöhen: Gesetze und finanzielle Anreize in Verkehr, Industrie und Gebäuden müssen klimaneutrale Energieträger trotz höherer Herstellungskosten wettbewerbsfähig machen. Realistische Quoten, verlässliche CO₂-Bepreisung und eine reformierte Energiesteuer sind zentral.
- Investitionsrisiken abfedern: Klimaschutzverträge, Ausschreibungsmodelle und staatliche Bürgschaften müssen insbesondere die Nachteile jener Unternehmen kompensieren, die als „First Mover“ neue Technologien und Verfahren am Markt etablieren.
Drohende Stilllegungen ab 2039: ETS-Reform dringend erforderlich
Ab 2039 droht deutschen Raffinerien das endgültige Aus, wenn der europäische CO₂-Emissionshandel wie geplant keine Zertifikate mehr ausgibt. In Raffinerien fallen jedoch stets unvermeidbare CO₂-Restemissionen an. Ohne Lösungen für diese Restemissionen müssten Anlagen ihren Betrieb einstellen.
Lösungen wie Carbon Capture and Storage (CCS) oder die Anerkennung von Negativemissionen existieren. Doch der wirtschaftliche und regulatorische Ausblick bleibt unsicher. Viele Unternehmen halten Investitionen deshalb zurück.
Deutschland sollte sich auf EU-Ebene für eine Reform des CO₂-Emissionshandels einsetzen, die Negativemissionen als Kompensationsmöglichkeit für unvermeidbare CO₂-Emissionen anerkennt. Weitere Optionen für energieintensive Industrien sind dringend zu diskutieren. Die intelligente Reform des Emissionshandelssystems ist eine Überlebensfrage für die deutsche Kohlenwasserstoffwirtschaft
Fazit: Das Zeitfenster schließt sich
Die deutsche Kohlenwasserstoffwirtschaft steht an einem kritischen Wendepunkt. Ohne rasches politisches Handeln droht der Verlust einer strategisch wichtigen Industriebranche mit vielen Arbeitsplätzen. Die Politik muss anerkennen: Eine wettbewerbsfähige Kohlenwasserstoffwirtschaft ist unverzichtbar für ein resilientes Industrieland. Wie Stahl-, Chemie- oder Zementindustrie benötigt auch diese Branche verlässliche und langfristig stabile Rahmenbedingungen.
Die Molekülwende kann nur gelingen, wenn Deutschland sowohl die internationale Wettbewerbsfähigkeit bestehender Anlagen sichert als auch Investitionsanreize für die Transformation schafft. Beides ist möglich – erfordert jedoch politischen Mut und koordiniertes Handeln auf nationaler und europäischer Ebene. Dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden, bevor das Zeitfenster sich unwiderruflich schließt.