Versorgung und Transformation

en2x-Stellungnahme zum öffentlichen Fachgespräch im Deutschen Bundestag am 01. März 2023

09.03.2023 | Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie hat am Mittwoch vergangener Woche in einem öffentlichen Fachgespräch die aktuelle Versorgungssicherheit und den Transformationsprozess am Standort Raffinerie Schwedt thematisiert. Im Folgenden finden Sie eine Stellungnahme des Verbandes.

Der en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie arbeitet gemeinsam mit seinen Mitgliedern aus der derzeitigen Mineralölwirtschaft auf das Erreichen der Pariser Klimaziele hin. Für eine treibhausgasneutrale Zukunft ist ein umfassender Transformationsprozess not-wendig. Mit einer Vielfalt an erneuerbaren Energien, alternativen Fuels sowie Rohstoffen, Technologien und Innovationen kann unsere Branche wesentliche Schlüsselbeiträge für diesen Wandel liefern. Wir wollen im offenen Dialog diesen Prozess begleiten, vorantreiben und mitgestalten.

1. Vorabbemerkung

Wir wollen als en2x Motor, Ideengeber und Partner für eine Energie- und Klimapolitik sein, die Klimaneutralität ebenso zum Ziel hat wie Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht die Transformation der Raffineriestandorte und der dort erzeugten Produkte. Zu Qualität, Umfang und Art der Rohöllieferungen für einzelne Standorte können wir im Detail auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht Stellung nehmen. Dies liegt in der Verantwortung der jeweiligen Anteilseigner der Raffinerien.

2. Die Stellung der Raffinerien im Energiesystem

Deutschland ist der größte Markt für flüssige Energieträger und kohlenwasserstoffbasierte Rohstoffe in der EU und verfügt mit circa 100 Mio. Tonnen Verarbeitungskapazität zugleich über die größte Raffinerieerzeugung. Raffinerien spielen eine bedeutende Rolle in der Energieversorgung Deutschlands. Sie versorgen den Bereich Verkehr (Pkw/Lkw, Luftfahrt und Schifffahrt) nahezu vollständig mit Kraftstoffen sowie einen bedeutenden Teil des Wärmemarktes mit Heizöl.

Diversifizierte Lieferstrukturen bei den Rohöllieferländern vermeiden einseitige Abhängigkeiten. Der hohe Anteil der heimischen Kraftstoffproduktion bedeutet zugleich für die Volkswirtschaft in Deutschland zusammen mit einer globalen Versorgungsstruktur von Mineralölprodukten ein hohes Maß an Versorgungssicherheit.

Die inländischen Raffinerien sind, in Kombination mit Import- und Logistikinfrastrukturen, Basis eines effizienten, dezentralen Versorgungssystems. Internationale Unternehmen sind ebenso Teil dieser Struktur wie mittelständische Importeure und regionale Handelsorganisationen. Gemeinsame Lagerhaltung und über ganz Deutschland ausgerollte Vertriebsstrukturen geben die Möglichkeit, auf kurzfristige Unterbrechungen aus technischen, wetterbedingten oder politischen Gründen schnell und flexibel zu reagieren. Weder Hoch- noch Niedrigwasserlagen, technisch bedingte Raffinerie-Stillstände oder die energiewirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges haben die Versorgungssicherheit in jüngster Zeit wesentlich beeinträchtigt.

Die Raffinerien in Deutschland sind insbesondere in Verbindung mit der chemischen Industrie auch wesentlicher Bestandteil von industriellen Wertschöpfungsketten. Über die Kraftstoffversorgung hinaus liefern die Raffinerien mehr als 70 Prozent der Grundstoffe für die organische chemische Industrie. Vernetzte Strukturen wie die Chemiedreiecke in Bayern (Raffineriestandort Burghausen), in Mitteldeutschland (Raffineriestandort Leuna) oder im Rhein-Ruhrgebiet (Raffineriestandorte Gelsenkirchen/Marl und Köln/Wesseling) zeigen beispielhaft den hohen Grad der wechselseitigen Liefer- und Produktionsstrukturen auf.

3. Zur aktuellen Versorgungslage bei flüssigen Energieträgern

Trotz des Ausstiegs aus dem Import von russischem Rohöl und seit dem 5. Februar auch aus dem Import von Ölprodukten aus Russland wie z. B. Dieselkraftstoff kann die Versorgung bislang ohne wesentliche Beeinträchtigungen sichergestellt werden. Dies ist auch das Ergebnis einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit unserer Branche mit den zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Die Mineralölwirtschaft hat das von ihr unterstützte und am 5. Dezember 2022 in Kraft getretene EU-Embargo gegen russische Rohölimporte auf dem Seeweg erfolgreich bewältigt. Für den Einfuhrstopp auf dem Landweg via Pipeline zum 31. Dezember 2022 hat die Branche auch mit Unterstützung der Bundesregierung ebenfalls Vorkehrungen getroffen.

Im Mittel der letzten Jahre stammte rund ein Drittel der deutschen Rohölimporte aus Russland. Ein Drittel dieser Importe russischen Rohöls wurde bislang in Raffinerien im Norden, Westen und Süden Deutschlands verarbeitet. Der Rohstoffbezug erfolgte über die Seehäfen Wilhelmshaven, Rotterdam und Triest, mit denen sie über Pipelines verbunden sind. Mit dieser Struktur war eine Umstellung bei der Versorgung auf andere Rohölsorten vergleichsweise einfach möglich. Deutlich gestiegen ist in der Folge der Import aus der Nordsee-Fördergebieten, den USA und Kasachstan. Der Importanteil von russischem Rohöl war von 40 Prozent im Januar auf 16 Prozent bis Oktober 2022 gefallen.

Zusätzlich wurde ein EU-Embargo gegen russische Mineralölprodukte verhängt, das am 5. Februar 2023 in Kraft trat. Dieses betrifft v. a. Importe von Dieselkraftstoff. Es besteht daher nun die Herausforderung, in Deutschland rund 4 Millionen Tonnen Diesel pro Jahr oder rund ein Achtel des deutschen Diesel-Absatzes zu ersetzen. Dies geschieht durch geplante zusätzliche Importe aus dem Ausland sowie durch Transporte innerhalb Deutschlands per Binnenschiff und Kesselwagenzug. Daher begrüßen wir, dass die Bundesregierung die Möglichkeit geschaffen hat, Energietransporte auf dem Schienenweg zu priorisieren, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.

Des Weiteren verschaffen die Reserven des Erdölbevorratungsverbands (EBV) Sicherheit. Der EBV hält gesetzlich vorgeschriebene Mengen an Erdöl und Erdölerzeugnissen in Höhe der in einem Zeitraum von 90 Tagen netto nach Deutschland eingeführten Mengen vor. Derzeit werden rund 15 Millionen Tonnen Rohöl und 9,5 Millionen Tonnen fertige Mineralölerzeugnisse Benzin, Diesel, Heizöl und Flugkraftstoff vorgehalten; andere Produkte können durch die Verarbeitung von Rohölreserven hergestellt werden. Diese strategischen Reserven sind über ganz Deutschland verteilt, um auf regionale Versorgungsstörungen schnell reagieren zu können.

4. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation und mehr Klimaschutz

Die bei der Verarbeitung und vor allem der Verwendung von Mineralölprodukten entstehenden Treibhausgasemissionen müssen zum Erreichen der Klimaschutzziele schnell und drastisch reduziert werden. Die Mineralölindustrie in Deutschland und Europa hat begonnen, ihre Geschäftsmodelle umzubauen. Für Raffinerien bedeutet dies einen kompletten Wandel ihrer Rohstoffbasis sowie der Produktionsprozesse.

Auch wenn ein Teil des Produktbedarfs in den nächsten Jahren durch Effizienzsteigerungen bzw. direkte Elektrifizierung (z. B. durch E-Autos und Strom-Wärmepumpen) entfallen wird, ist davon auszugehen, dass auch langfristig ein hoher Bedarf an Kohlenwasserstoffen erhalten bleiben wird. Denn sowohl in Luft- und Schifffahrt als auch als Rohstoff in der chemischen Industrie sind Kohlenwasserstoffe langfristig erforderlich. Und auch für den Fahrzeugbestand, für viele Spezialanwendungen und für Teile des Wärmemarktes wird es Bedarfe außerhalb einer direkten Elektrifizierung geben.

Wesentlicher Baustein der Transformation der Raffinerien ist ein schrittweiser Ersatz fossilen Rohöls durch Rest- und Abfallstoffe, recycelte Rohstoffe, Biomasse sowie durch CO2 und CO2-neutralen Wasserstoff. Dieser Umstieg erfordert Milliardeninvestitionen sowohl in der weltweiten Erzeugung treibhausgasneutraler Rohstoffe (Wasserstoff, Ammoniak, Methanol, synthetisches Rohöl) wie auch an den Raffineriestandorten in Deutschland und Europa selber.

Deutschland importiert derzeit rund 70 Prozent seiner Energie. Der notwendige Ausbau von Wind- und Solarkraftanlagen wird diesen Anteil in den kommenden Jahren zwar möglicherweise sinken lassen. Zunächst muss jedoch mit Blick auf den Klimaschutz der Kohlestrom ersetzt werden. Energieautark wird Deutschland jedoch nicht werden können. Dafür ist das Verhältnis zwischen dem Energieverbrauch der dicht besiedelten Industrienation und den Möglichkeiten zur Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu ungünstig. Für unser gemeinsames Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft werden Energieimporte also auch in Zukunft unverzichtbar sein. Raffinerien werden vor diesem Hintergrund auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Weiterverarbeitung von importierten grünen Energieträgern und als Lieferant von THG-neutralen Antriebsstoffen und Vorprodukten z. B. für die chemische Industrie spielen.

Treibhausgasneutralem Wasserstoff und daraus hergestellten Zwischenprodukten kommen als Einsatzstoff für Raffinerien in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Für eine große Zahl potenzieller Erzeugerländer entstehen dadurch neue Perspektiven und gleichzeitig lassen sich einseitige Abhängigkeiten dauerhaft vermeiden.

Für den Aufbau eines weltweiten Marktes für erneuerbare Moleküle und den Umbau der Raffinerien hin zur Klimaneutralität bedarf es jedoch dringend der Schaffung zielgerichteter und verlässlicher Rahmenbedingungen. Die zu Recht ambitioniert und umfassend formulierten Klimaschutzziele müssen ihre Entsprechung in einer ebenso umfassenden und ambitionierten Nutzung aller verfügbaren Defossilisierungsoptionen finden.

Die Entwicklung im straßengebundenen Verkehr zeigt dies exemplarisch. Auch im Jahre 2022 waren mehr als 80 Prozent aller Neufahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor ausgestattet, in einer wachsenden Zahl von Fällen in Kombination mit einem Elektroantrieb. Für das Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor sind daher auch mittelfristig erhebliche Mengen klimafreundlicher Kraftstoffe auf Basis aller verfügbaren Technologien erforderlich.

Die Kernfrage ist, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um die genannten Milliardeninvestitionen zu befördern. Hier sind insbesondere folgende Maßnahmen zu nennen:

• Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Neugestaltung der Besteuerung von Kraftstoffen sollte zügig beschlossen und dann national umgesetzt werden. Es ist für die Klimaschutzbemühungen kontraproduktiv, wenn jeder Liter Kraftstoff unabhängig von seiner THG-Bilanz weiterhin in gleicher Höhe besteuert wird.

• Bei der Einführung von Quoten für erneuerbare Kraftstoffe gemäß den Vorgaben der Erneuerbaren Energien Richtlinie (RED) sollten zur Erleichterung von Investitionen – wie in der Überarbeitung der RED angelegt – verkehrsträgerübergreifende Erfüllungsmöglichkeiten zu-gelassen werden. Das reduziert Investitionsrisiken, da verschiedene Zielmärkte für die klimaneutralen Produkte adressiert werden können.

• Ein Schlüssel für die Transformation von Raffineriestandorten in Deutschland und Europa ist das gemeinsame Verarbeiten von fossilen und erneuerbaren bzw. recycelten Rohstoffen, auch als Co-Processing bezeichnet. Dieses muss umfassend – wie in anderen europäischen Ländern auch – vom Gesetzgeber anerkannt werden. Eine bilanzielle Anrechnung der so er-reichten Treibhausgasminderungen oder eine Anrechnung auf Recycling-Quoten z. B. bei der Kunststoffherstellung kann dazu beitragen, Investitionen in die Standorte auszulösen und so wesentliche Beiträge zum Erreichen der Klimaziele zu erreichen.

• Raffinerien müssen schnellstmöglich an ein europäisches Wasserstoffnetz für die Industrie angeschlossen werden.

• Grundsätzlich sollten zum Erreichen der Klimaziele alle nachhaltigen Optionen zugelassen werden. Es geht vor allem darum, in neue Technologien einzusteigen, bevor immer neue Ausstiegsdebatten geführt werden.

Download „Aktuelle Versorgungssicherheit und Transformationsprozess am Standort Raffinerie Schwedt“

Der en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie e. V. hat  eine Stellungnahme zum öffentlichen Fachgespräch im Bundetag am 1. März 2023 veröffentlicht, die sie hier herunterladen können.

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